Zug um Zug
Was mir in Jahresgesprächen oder ähnlichen Feedback-Gesprächen regelmäßig zum einen Ohr hinein und gleich wieder zum anderen hinaus gegangen war, hat mir eine Übung aus dem klassischen Schauspiel-Training eindringlich vor Augen geführt. So eindringlich, dass ich endlich verstanden habe, dass es höchste Zeit war, meinen Führungsstil zu ändern, wenn ich weiterhin erfolgreich sein wollte.
Zug um Zug heißt die Übung. Dafür werden auf dem Boden 9 oder mehr Punkte markiert. Zu Beginn stehen sich 2 Personen auf jeweils frei gewählten Markierungen gegenüber. Ohne miteinander zu sprechen bewegt man sich nun einer nach dem anderen – Zug um Zug eben – von einem Punkt zum nächsten. Jeweils einen Schritt nach vorne, hinten, links, rechts oder diagonal. Dabei achtet man genau auf den Ausdruck, die Gestik und die Mimik seines Gegenübers. Allein aufgrund der non-verbalen Kommunikation entscheidet man, ob man aufeinander zu geht, sich einen Schritt zurücknimmt oder zur Seite ausweicht. Das Spiel ist zu Ende, wenn sich beide Spieler auf demselben Punkt treffen, oder wenn ein Teilnehmer entscheidet, das Spiel zu beenden.
Ich hatte mir von Beginn an vorgenommen, mein Gegenüber auf einen ganz bestimmten Punkt zu manövrieren und das Spiel als beendet zu erklären, sobald ich ihn zu diesem Punkt bewegt hatte. Schließlich wusste ich, wie wichtig es ist, Position zu beziehen und mit einer klaren Zielvorstellung in ein Meeting zu gehen. Das funktionierte soweit auch gut. Ein paar Mal hatte ich Angst, mein Übungspartner würde aufgeben, aber ein aufmunterndes Lächeln wirkte jedes Mal Wunder und es dauert nicht lange, bis er genau auf dem Punkt stand, wo ich ihn haben wollte. Ich hatte erreicht, was ich wollte und erklärte das Spiel für beendet. Als Siegerin natürlich.
Das war der einfache Teil der Übung.
Zweite Runde, dasselbe Prinzip, außer dass wir nun nicht mehr alleine handelten, sondern mit einem Partner im Team. Auch mit meiner Teampartnerin durfte ich nur non-verbal kommunizieren, kein Wortwechsel, keine Absprachen. Ich hatte wieder meine klare Zielvorstellung im Kopf, und los ging es. Ohne meiner Partnerin überhaupt die Gelegenheit zu geben, ihre Intentionen auszudrücken, ja, ohne überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden, ob sie vielleicht selber einen Plan hat, bekam sie einen Knuff in die Rippen und wir bewegten uns einen Schritt nach rechts. Oder ich ging einfach nach vorne, mit größter Selbstverständlichkeit annehmend, sie würde mir folgen. Auch das funktionierte, sie folgte mehr oder weniger überzeugt. So ging das eine ganze Weile, bis genau das passierte, was ich nicht gewollt hatte: das andere Team verließ das Spiel. Game over, Ziel nicht erreicht. Auf das Berufsleben übertragen: es kam nicht zum Geschäftsabschluss.
Und das war ganz allein meine Schuld. Ich hatte mich dominant und autoritär über meine Teampartnerin, deren Plan, deren Befindlichkeiten hinweggesetzt. Wie ein Bulldozer. Ich war arrogant und hatte meine Partnerin zu einem mehr oder weniger lästigen, mundtoten Anhängsel degradiert. Das gegnerische Team hatte dies intuitiv gespürt. Wir haben als Team nicht überzeugt und somit war uns, übertragen auf das Berufsleben, der Geschäftsabschluss durch die Finger geglitten.
Wertschätzung im Team entscheidet.
Ein guter Teamplayer war ich zugegebener Weise nie. Aber ich hatte immer versucht, wenigstens den Anschein dessen zu geben. Zug um Zug hat mich erfahren lassen, dass der Anschein nicht genügt. Eine hohle Maske eben, die von potentiellen Geschäftspartnern aufgrund von kleinsten non-verbalen Signalen, die wir mit unseren Gesichtern und der Körpersprache abgeben, entlarvt wird. Ich habe erfahren, dass ich meinen Mitstreiter*innen echte Wertschätzung entgegenbringen muss. Ich muss Ihnen Raum zur Entfaltung geben, um als Team zusammenzuwachsen und effektiv zu wirken. Ein „winning team“ besteht aus Menschen, die sich in ihren Fähigkeiten ergänzen, die sich gegenseitig wertschätzen und so nach außen als geschlossene Einheit auftreten.
Ich habe auch erfahren, dass ich nicht immer sofort impulsiv handeln muss. Kaum hatte das gegnerische Team seine neue Position gewählt, war ich schon auf dem Sprung, meinen Schritt zu tun. Es liegt aber eine große Kraft darin, sich Zeit zu nehmen. Zeit, den Impuls von seinem Gegenüber aufzunehmen, zu bewerten und mit den Reaktionen, die man von seinen Teammitgliedern empfängt, abzuwägen. Und erst dann einen überlegten und entschiedenen Schritt zu tun. Auf ein Geschäftsgespräch übertragen bedeutet es, dass man Stille, Schweigen ertragen können muss. Das sind jene Momente, in denen in den Gesichtern der Gesprächspartner die interessantesten Signale zu lesen sind. Aus dieser Ruhe entsteht Überlegenheit.
Zug und Zug hat meinen Führungsstil nachhaltig verändert und meine Wirksamkeit als Führungspersönlichkeit erhöht. Heute weiß ich, dass mein Team und die jeweils individuellen Kompetenzen meiner Mitstreiter mein höchstes Kapital sind. Zusammen sind wir (fast) unschlagbar.

Autorin Wiebke Küster
Für Wiebke steht der Mensch in seiner Einzigartigkeit im Mittelpunkt. Neben fachlicher Kompetenz brauchen Führungskräfte persönliche Ausstrahlung, um diese Kompetenz zu transportieren.
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