Mut zum ehrlichen Ausdruck
Manchmal frage ich mich, was ich als Schauspielerin in der Business-Welt mache. Vieles ist mir als darstellende Künstlerin fremd. Denn ich habe Vorurteile darüber, wie es in Unternehmen zugeht. Doch die meisten davon erweisen sich letzten Endes als falsch.
Andererseits ist vielen mein Beruf als Schauspielerin fremd. Denn auch darüber, was Schauspielerin sein bedeutet, existieren viele falsche Annahmen.
Schauspieltraining für Unternehmen
In einem Training, das ich kürzlich für Pedeva gegeben habe, erhielt ich ein Feedback, das mir lange in Erinnerung bleiben wird. Ein junger Mann erklärte: „Das Training hat wirklich Spaß gemacht. Es war ja zum Glück auch nicht so schauspielmäßig. Hat echt was gebracht.“
Ich fragte ihn vorsichtig, was er denn mit „schauspielmäßig“ meinen würde. „Na, Du hast nicht so auf Emotionen gepocht oder dass man sich verstellen muss. Ich hab‘ meinem Kumpel gestern noch gesagt, wenn die anfängt so Emotionales zu fordern, dann verlasse ich den Raum.“
Nun war das Training allerdings vollgepackt mit Schauspiel-Übungen! Und dennoch, er hat den Raum nicht verlassen.
Wach, aufmerksam und wendig
Diese Idee, dass es im Schauspiel zuallererst um Emotionen geht und darum, sich mal richtig zu fühlen, begegnet mir oft. Wenn das der Wahrheit entspräche, dann könnte ich keinen einzigen sinnvollen Trainingsbeitrag leisten für Nicht-Schauspieler.
Gutes Schauspiel besteht zuallererst einmal aus sehr konkreten Handlungen. Nichts ist langweiliger als einem Schauspieler dabei zuzusehen, wie er auf der Bühne versucht, ein bestimmtes Gefühl in sich zu erzeugen. Das Studium des Schauspielers besteht vielmehr darin, eingefahrenen Gewohnheiten zu entkommen, wahrhaftig und einfach zu spielen. Frei von Spannungen, punktgenau zur Sache und schnell zu reagieren. Sich dem anderen zur Verfügung zu stellen. Wach, aufmerksam und wendig müssen wir sein.
Natürlich spielen Gefühle eine Rolle bei der Darstellung eines Charakters, man handelt sie sich aber eher ein. Gute Schauspieler*innen brauchen so viel mehr als ein reiches Gefühlsleben. Was für eine Fehlannahme über den Schauspielberuf!
Unterschiedliche Erfahrungswelten
Vor meinem ersten Training für ein großes Softwareunternehmen vor einigen Jahren hatte ich ja auch keine Ahnung, wie es in Unternehmen zugeht. In der Tat wusste ich so wenig über Tech-Unternehmen, dass es nicht einmal für Fehlannahmen ausreichte.
Zur Vorbereitung bat ich einen Freund, mir Einblick in einen seiner typischen Arbeitstage als Produktmanager zu geben. Er erzählte mir von einem bevorstehenden „Release“, von „Prozessoptimierungen“, dem „Scope“ eines Meetings und so weiter.
Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, und bat ihn, es ganz anschaulich für mich zu machen. Er überlegte eine Weile, suchte nach einem Bild, einem kleinsten gemeinsamen Nenner unserer Erfahrungswelten, und sagte dann: „Ich komme ins Büro, schalte den Computer ein und beginne meine Mails zu lesen.“
Was freundschaftlich gemeint war, ließ in mir eher die Frage aufkommen, ob das, was ich weiß, von irgendeiner Bedeutung sein könnte für jemanden mit einem „anständigen“ Beruf. Wie soll ich so jemandem etwas über Dinge wie Körperhaltung und den gekonnten Einsatz der Stimme erzählen?
Mut sich zu zeigen
Mittlerweile schaue ich auf viele schöne Begegnungen in Trainings zurück und ich weiß um den Schatz, den ich als Schauspielerin in mir trage, und der für Menschen aus dem Business-Umfeld einen großen Mehrwert bedeutet. Ich weiß um meine erlernten Fähigkeiten, die es mir ermöglichen, Menschen konkret dabei zu unterstützen, glaubwürdig, souverän und authentisch ihre Botschaft zu vermitteln.
Dem jungen Teilnehmer aus dem letzten Training möchte ich gerne die Worte des großen Schauspielers Max Reinhardt mitgeben:
„Nicht Verstellung ist die Aufgabe des Schauspielers, sondern Enthüllung.“
Dafür braucht es eine Haltung. Es braucht einen Gedanken. Es braucht Mut. Mut sich zu zeigen, Vertrauen, Klugheit, Offenheit und Hingabe.
Die Emotion kommt von allein. Ganz wie im richtigen Leben!

Autorin Ulrike Röseberg
Als Schauspielerin ist Ulrike Teil einer guten Geschichte. Als Trainerin unterstützt sie andere dabei, die Regie für ihre eigene Geschichte zu übernehmen. Der gekonnte Einsatz von Körpersprache und Stimme hat einen positiven Einfluss auf das Berufsleben und alle Bereiche des Miteinanders. Mehr erfahren Sie hier: Ulrike Röseberg