Von Schauspielern lernen.
Max Reinhardt kann ohne Frage als einer der größten Schauspieler und Theaterregisseure des beginnenden 20. Jahrhunderts bezeichnet werden. Der 1873 in Baden bei Wien geborene Künstler gründete 1920 mit seiner Inszenierung von Hugo von Hofmannsthals “Jedermann” die Salzburger Festspiele. In Berlin war er Mitbegründer von “Schall und Rauch” und leitete unter anderem das Deutsche Schauspielhaus und die Berliner Volksbühne. Als Gründer der Komödie am Kurfürstendamm verpflichtete er als Dramaturgen niemand geringeren als Bertold Brecht. Bevor er in die USA emigrierte, leitete er in Wien das Theater in der Josefstadt. Eine der weltweit besten Schauspielschulen trägt seinen Namen, das Max Reinhardt Seminar in Wien.
Reinhardts “Rede über den Schauspieler”
Vor ein paar Tagen fiel mir Reinhardts berühmte “Rede über den Schauspieler” in die Hände, die er 1928 an der New Yorker Columbia University gehalten hat. Und es erstaunt mich immer wieder aufs Neue, wie viele seiner Weisheiten eben nicht nur für Schauspieler gelten, sondern für uns alle, die wir im Wirtschaftsleben tätig sind.
Hier ein paar nachdenkenswerte Auszüge aus seiner Rede:
“Wir turnen täglich, um unsere Muskeln, unsere Glieder zu stärken, damit sie nicht einschrumpfen. Aber unsere seelischen Organe, die doch für eine lebenslängliche Arbeit geschaffen sind, bleiben ungebraucht, untrainiert und verlieren daher mit der Zeit ihre Leistungsfähigkeit. Und doch hängt unsere seelische, geistige, ja, sogar unsere körperliche Gesundheit auch von der unverminderten Funktion dieser Organe ab. Wir spüren unverkennbar, wie ein herzliches Gelächter uns befreien, ein tiefes Schluchzen uns erleichtern, ein Zornausbruch uns erlösen kann. Ja, wir suchen oft mit unbewusster Begierde solche Ausbrüche.”
“Unsere Erziehung freilich arbeitet dem entgegen. Ihr erstes Gebot heißt: Du sollst verbergen, was in dir vorgeht… Wir haben uns auf eine Reihe allgemeingültiger Ausdrucksformen geeinigt, die zur gesellschaftlichen Ausrüstung gehören. Diese Rüstung ist so steif und eng, dass eine natürliche Regung kaum mehr Platz hat. Wir haben ein oder zwei Dutzend billiger Phrasen für alle Gelegenheiten. Wir haben gebrauchsfertige Mienen der Teilnahme, der Freude, der Würde und das stereotype Grinsen der Höflichkeit.”
“Die Natur verleiht jedem Menschen ein besonderes Gesicht… Aber im schmalen Flussbett des bürgerlichen Lebens, vom Alltag hin und her gestoßen, werden die Menschen schließlich so abgeschliffen, wie runde Kieselsteine. Einer sieht wie der andere aus. Sie bezahlen diesen Schliff mit ihrer persönlichen Physiognomie.”
“Nicht Verstellung ist die Aufgabe des Schauspielers, sondern Enthüllung. Wir können heute über den Ozean fliegen, hören und sehen. Aber der Weg zu uns selbst und zu unseren Nächsten ist sternenweit. Der Schauspieler ist auf diesem Weg. Mit dem Licht des Dichters steigt er in die noch unerforschten Abgründe der menschlichen Seele; seiner eigenen Seele, um sich dort geheimnisvoll zu verwandeln, und Hände, Augen und Mund voll von Wunder wieder aufzutauchen.”
Authentisch Auftreten, Persönlichkeit zeigen, charismatisch führen.
Das sind alles Forderungen an die Führungskraft des 21. Jahrhunderts. Wie aber können wir dem allen gerecht werden, wenn das schmale Flussbett, das unser Karriereweg ist, uns zu Kieselsteinen geschliffen hat?
Wir haben gelernt, dass wir auf keinen Fall Schwächen oder persönliche Regungen zeigen dürfen. Denn das gilt ja als “unprofessionell”. Bei dem Versuch, unverwundbar zu erscheinen, ist uns das Verstecken und Verbergen tatsächlich in Fleisch und Blut übergegangen. Wir sind zu austauschbaren, persönlichkeitslosen Nummern geworden.
Aber genau dieses Verhalten gilt es, aufzubrechen. Wie Max Reinhard sagte: im Schauspiel geht es eben nicht darum, zu verbergen, sondern zu enthüllen. Und das können wir vom Schauspiel lernen. Es ist befreiend, erleichternd, erlösend und wir lernen wieder uns ganz besonderes Gesicht, unsere einzigartige Persönlichkeit zum Strahlen zu bringen.
Hier der Link zur vollständigen Rede von Max Reinhardt, gelesen von dem einzigartigen Oskar Werner:

Autorin Wiebke Küster
Für Wiebke steht der Mensch in seiner Einzigartigkeit im Mittelpunkt. Neben fachlicher Kompetenz brauchen Führungskräfte persönliche Ausstrahlung, um diese Kompetenz zu transportieren.
Mehr erfahren Sie hier: Wiebke Küster