Vom Denken ins Handeln kommen
Wie viel Planung ist nötig und wie viel Freiraum für Kreativität geben wir uns? Planung geht mit Sicherheit einher. Freiraum assoziieren wir mit Unsicherheit. „Ein Ziel ohne Plan ist nur ein Wunsch“ wusste schon Antoine de Saint-Exupéry. In seinem Buch „Der kleine Prinz“ stürzt er mit seinem Flugzeug in der Wüste ab. Damit hatte er nicht gerechnet, das war nicht sein Plan. Dennoch begegnet er jemandem, der sein gesamtes Weltbild verändert, seinen Horizont erweitert.
Wenn unsere Pläne nicht aufgehen, müssen wir zwangsläufig improvisieren. Aber was bedeutet Improvisieren? Und nach welchem Plan läuft Improvisation?
Entscheidungen aus dem Bauch heraus treffen
Im Schauspiel gehen wir bei der Improvisation von Tatsachen aus. Wo Tatsachen geschaffen werden, herrschen keine Zweifel. Wir sind gezwungen, blitzschnell Entscheidungen zu treffen und erleben deren Konsequenzen. Beim Improvisieren gibt es kein Grübeln und keine Angst – die ohnehin nur in Gedanken an die Zukunft existent ist. Es gibt nur die Handlung. Ursache und Folge, Aktion und Reaktion, Impuls und Resonanz.
Als Schauspieler mit feststehendem Text sind wir uns unserer Rolle bewusst. Als Schauspieler ohne feststehenden Text – wenn wir also improvisieren – werden wir uns unserer Rolle bewusst.
Improvisation ist Entwicklung, Bewusstwerdung. Viele Theaterstücke oder Film- und Musicalstoffe sind überhaupt erst durch Improvisation, durch den Prozess der Bewusstwerdung, entstanden. Genauso in der Musik.
Doch Improvisation ist alles andere als ein Notnagel. Es ist die Fähigkeit sich der Kreativität hinzugeben.
Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten
In vielen Bereichen außerhalb der Kunst ist Improvisation noch Neuland, weil sie nicht planbar und erfassbar ist. Wie soll man mit Unvorhersehbarem umgehen? Improvisation schafft ungeahntes Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten. „Alle sagten es geht nicht, da kam einer, der hat es nicht gewusst und hat’s gemacht“. Wer kennt diese eindrückliche Anekdote nicht?
Die Grenzen unserer Vorstellung sind die Grenzen unserer Welt. Das, was wir uns vorzustellen vermögen, vermag der Einzelne auch umzusetzen, zu schaffen. Wir hören Menschen davon reden, dass jemand etwas “aus dem Hut zaubert“, Dinge werden „aus dem Boden gestampft“, „aus den Fingern gesaugt“, „aus dem Ärmel geschüttelt“ oder kurz: jemand hat improvisiert. Wer improvisiert, ist im Prinzip ein Zauberer, ohne es zu wissen.
Vom Denken ins Handeln kommen
Beim Improvisieren gibt es keine Fehler. Also brauchen wir auch keine Angst haben, etwas falsch zu machen. Niederlagen gibt es nicht, weil wir keine Angst vor dem Scheitern haben müssen. Wir sagen uns „was soll schon passieren?“ und entschließen uns, zu vertrauen.
In diesem Augenblick passiert etwas Wunderbares. Hingabe hält Einzug in unser Leben. Wir lassen los, wir lassen uns fallen, wir geben uns hin. Mit anderen Worten: wir benutzen unsere Empfindung. Geistesgegenwärtig handeln heißt empfinden – um im Empfangen zu finden.
Das Ziel der Improvisation ist vom Denken ins Handeln zu kommen, um vom Handeln zu lernen. Uns unserer Werkzeuge bewusst zu werden, womit wir Werke zeugen und wovon unsere Werke zeugen.
Heutzutage wird uns als Kind schon beigebracht, innere Impulse zu unterdrücken, sie der Norm oder Etikette anzupassen; zu folgen, zu gehorchen, im Raster zu denken. Kurz: unser Inneres wird unterdrückt. Durch das Spielen verlieren wir jegliche Angst, die genannten Regeln zu brechen, da wir einfach sind.
Und wieder gewinnen wir etwas dazu: Einfachheit und den Fokus auf das Sein.

Autor Jannis Hain
Aus der Liebe zum Wort entwickelte sich die Liebe zum Theater. Die Arbeit als Schauspieler, sowohl auf der Bühne, vor der Kamera und am Mikrofon, führte zu der Erkenntnis, dass die stetige persönliche Weiterentwicklung die einzige Antwort auf die Sinnfrage sein kann.